Altlasten der Vergangenheit: Pannen-Mythen

Juni

23

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Die meisten Autofahrer haben im Hinterkopf Tipps und Tricks abgespeichert, die bei dieser oder jener Autopanne helfen sollen. Grundmerkmal: Billig und funktioniert mit Alltagsgegenständen. Einige der wichtigsten davon nimmt der folgende Artikel unter die Lupe.

Allerdings, so viel sei bereits verraten: Vieles funktioniert zwar, aber nicht bei neuzeitlichen Autos und hat sich analog zu tatsächlichen Mythen nur durch Weitererzählungen am Leben gehalten.

Das Ei und der Kühler

Heutzutage sind luftgekühlte Autos eine echte Rarität, denn praktisch alle PKW sind wassergekühlt.

Dabei umströmt ein Kühlwasser-Frostschutzmittel-Gemisch die Zylinderwände, wird via Wasserpumpe in Bewegung gehalten und durch den Kühler geleitet, der die Hitze abführt.

fotolia.com © Mara Zemgaliete

Genau dieser Kühler ist das Problem, denn er ist ein dichtes Geflecht aus dünnwändigen Aluminium-Röhren, Schlägt hier ein vom Vordermann aufgewirbeltes Steinchen auf, kann eine solche Röhre durchaus Schaden nehmen – das unter Druck stehende Kühlwasser schießt aus dem Leck und zwingt zum Anhalten.

Schlägt hier ein vom Vordermann aufgewirbeltes Steinchen auf, kann eine solche Röhre durchaus Schaden nehmen – das unter Druck stehende Kühlwasser schießt aus dem Leck und zwingt zum Anhalten.

Laut des ersten Mythos nehme man nun ein rohes Ei und kippe dessen Inhalt in den Kühler.

Das Eiklar wird durch den Wasserdruck zum Leck befördert und – das Kühlwasser ist ja heiß – härtet dort aus, als würde man das Ei hartkochen. Das Leck ist dicht, die Fahrt kann weitergehen.

Leider funktioniert das aber nicht bei heutigen Autos.

Und zwar aus zwei Gründen:

1. Ein neuzeitliches Kühlsystem steht unter 1 bis 1,5 Bar Überdruck. Das ist zu viel für das Eiweiß, es wird einfach durch das Leck gedrückt.

2. Bei alten Autos saß der Kühlmitteleinfüllstutzen direkt am Kühler. Das Ei war also beim Einfüllen nur Zentimeter vom Leck entfernt.

Heutige Autos haben indes Ausgleichsbehälter, die das Ei zwängen, den gesamten Kühlkreislauf zu durchlaufen, bevor es in den Kühler gelangt.Vor allem der zweite Punkt zerstört den Mythos.

Denn auf diesem langen Weg sind einfach zu viele Ecken, an denen das Ei hängen bleiben könnte.

Allerdings gibt es heute Kühlerdichtmittel, die nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren, jedoch auf einer chemisch kontrollieren Basis und nicht biologischen Ursprungs.

Diese Mittel können bei sehr kleinen Lecks tatsächlich den Kühler abdichten, sind jedoch auch ebenso oft ähnlich überfordert wie das Ei.

Mythos: Zerstört

Die Strumpfhose

Der Keilriemen ist ein wichtiges Bauteil im Fahrzeug. Denn er greift über die Riemenscheibe der Kurbelwelle die Kraft des Motors auf und gibt sie an die zahlreichen Hilfsaggregate weiter. Lichtmaschine, Servolenkungspumpe, Klimapumpe, um nur einige zu nennen, werden darüber angetrieben.

Und obschon ein Keilriemen robust ist, sorgt die ewige Rotation dafür, dass er reißen kann – kaputte Keilriemen gehören tatsächlich auch heute noch zu den häufigsten Gründen fürs Liegenbleiben, denn ohne den Riemen erzeugt beispielsweise die Lichtmaschine keinen Strom mehr.

fotolia.com © CPN

Bei einem Benziner ist der aber zwingend notwendig, damit die Zündkerzen Energie bekommen. Nach nur wenigen Minuten ist dann die Batterie leergesaugt.

Schlimmer wird es nur bei Fahrzeugen, die auch die Wasserpumpe durch den Keilriemen antreiben (und nicht durch den im Motor liegenden Zahnriemen). Ohne ausreichendes Umpumpen der Kühlflüssigkeit entstehen rasch schwerste Motorschäden, die sich zudem nur schwer erkennen lassen.

Der zweite Mythos entstand in alten Filmen: Sagte der Keilriemen adieu, entledigte sich die Beifahrerin ihrer Nylon-Strumpfhose, der Mann knotete daraus einen Notfall-Keilriemen und die Fahrt konnte weitergehen.

Schön war die Zeit, aber auch hier machen heutige Autos einen Strich durch die Rechnung:

1. Früher waren Keilriemen im Profil tatsächlich noch keilförmig. Die Strumpfhose wäre also tief in die Riemenscheiben gezogen worden und hätte dort problemlos Kraft übertragen können. Heute verwendet man indes flache Keilrippenriemen – ein gewaltiger Unterschied, denn diese sind viel breiter. Da würden die Nylons von der Riemenscheibe springen. Außerdem müssen solche Flachriemen viel stärker gespannt werden, als Keilriemen. Stärker, als es jeder Strumpf aushält.

2. Früher trieb der Riemen nur die Lichtmaschine an. Heute gehören so viele weitere Aggregate und Umlenkrollen dazu, dass selbst die Nylons einer Zwei-Meter-Dame nicht lang genug wären, um alles abzudecken.
Zudem gilt heute auch, dass die meisten Motorräume so verbaut sind, dass man gar nicht an die Riemenscheiben herankommt, ohne diverse Anbauteile und Verkleidungen abzuschrauben.

Mythos: Zerstört

Büroklammer statt Flachsicherung

Das elektrische System eines Autos ist zwar ein einfaches Gleichstromsystem, gleichzeitig aber durch die Vielzahl von Verbrauchern hochkomplex. Damit bei Fehlern und Spannungsspitzen den angeschlossenen Geräten nichts passiert, befinden sich in einem normalen Auto dutzende Sicherungen.

Jede ist für einen bestimmten Strom ausgelegt – wird dieser überschritten, schmilzt der Leiter innerhalb der Sicherung und unterbricht den Stromkreis.

fotolia.com © Adamsov studio

Nun kann es aber auch passieren, dass eine solche Sicherung den Geist aufgibt, ohne dass wirklich etwas Schlimmes passiert ist. Und dann funktioniert beispielsweise die Cockpitbeleuchtung nicht mehr oder schlimmstenfalls gleich die Scheinwerfer.

Der Mythos lässt nun den Autofahrer routiniert ins Handschuhfach greifen, wo er eine Büroklammer hervorkramt.

Er öffnet den Sicherungskasten, zieht die kaputte Sicherung heraus, biegt die Büroklammer auf und steckt sie stattdessen hinein. Der Stromkreis ist geschlossen, alles funktioniert wieder.

Dieser Mythos funktioniert auch in der Tat noch bei heutigen Autos. Allerdings nicht ohne zwei dicke Abers:

1. Die Büroklammer hat einen undefinierbaren Ampere-Wert. Ist er zu gering, brennt sie nach kurzer Zeit ebenfalls durch, ist er zu hoch, kann es zu Bränden kommen, die keine Versicherung zahlt.

2. Schon in einem modernen Golf stecken rund anderthalb Kilometer Leitungen und dutzende hochempfindliche Steuergeräte. Bei einem Porsche Cayenne sind es sogar rund sieben Kilometer. Die Büroklammer könnte unter Umständen durch ihren falschen Bemessungsstrom Schäden für abertausende Euro produzieren.

Vor allem angesichts der Tatsache, dass Flachsicherungen nur wenige Cents das Stück kosten, ist es deshalb wesentlich sinnvoller, sich davon ein Sortiment ins Handschuhfach zu packen – denn der Austausch ist genauso wenig aufwendig.

Mythos: Unzerstört (aber wenig sinnvoll)

Panzertape gegen Leckagen

Das Kühlsystem ist ein weiteres Mal Schauplatz für einen Mythos. Denn neben dem Kühler selbst können natürlich auch die Schläuche, beispielsweise durch Überalterung oder Materialfehler, den Geist aufgeben. Und dann drohen durch Kühlwasserverlust die gleichen Schäden wie beim kaputten Kühler.

Bloß ist ein geborstener Schlauch, in dessen Loch man mehrere Finger stecken kann, nichts mehr, was man noch durch das Einschütten irgendwelcher Chemikalien beheben könnte.

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Die Lösung dieses Mythos ist etwas jüngeren Datums. Denn, ausgehend vom Militär, gibt es seit einigen Jahrzehnten das sogenannte Panzertape. Das ist ein der Länge nach hochreißfestes, sehr stark klebendes und auch wasserbeständiges Gewebeklebeband, das in seiner zivilen Ausführung meist silbrig schimmert.

Manche Zeitgenossen schwören so sehr auf dessen Leistung, dass sie behaupten, man hätte die Titanic retten können, wenn bloß Panzertape an Bord gewesen wäre.

So gut ist Panzertape zwar nicht, aber in der Tat sieht es zumindest beim geborstenen Kühlerschlauch so aus, dass sich dieser damit provisorisch abdichten lässt.

Man darf zwar nicht erwarten, dass damit noch hunderte Kilometer an Strecke möglich sind, denn das unter Druck stehende Kühlwasser wird mit der Zeit zwischen den Klebeband-Lagen durchkriechen, aber bis zum nächsten Rastplatz sollte in den meisten Fällen machbar sein.

Damit das aber funktioniert, muss man – und das wird in engen modernen Motorräumen schwierig – den gesamten Schlauch mit einer einzigen langen Tape-Bahn von Anfang bis Ende umwickeln und sämtliche Falten und Knicke so gut wie möglich glattstreichen.

Hinzu kommt, dass Panzertape in der Regel erst nach 24 Stunden seine volle Klebkraft entfaltet hat.

Mythos: Unzerstört

Kratzer ade dank Sprühöl

Zwar keine Panne im eigentlichen Sinne, aber ein echter Reparatur-Mythos ist der wohl jüngste Vertreter dieser Liste.

Seit einiger Zeit kursieren auf den sozialen Netzwerken immer wieder Videos, in denen zu sehen ist, wie Kratzer an einem Auto statt mit Lack nur durch Einsprühen und Einmassieren von Sprühöl – meist das legendäre WD-40 – entfernt werden. Und schaut man sich solche Videos an, sieht das Ganze auch plausibel aus:

Allerdings ist der Mythos zunächst einmal stark davon abhängig, um welche Form von Kratzern es sich handelt. Generell funktioniert der Sprühöl-Trick dadurch, dass die Flüssigkeit durch den Kapillar-Effekt in den Kratzer regelrecht hineingesogen wird und ihn somit ausfüllt.

Ist tatsächlich nur der Lack zerkratzt, der Kratzer also flach, kann ihn das tatsächlich verschwinden lassen. Das Sprühöl sorgt dann einfach dafür, dass sich das Licht nicht mehr an den Kratzer-Rändern brechen kann – ein rein optischer Trick also.

Komplizierter wird es, wenn der Kratzer den Lack durchdrungen hat und bis auf die helle Grundierung oder gar das Blech geht. Dann scheint diese durch und der Trick funktioniert nicht mehr.

Zudem steht auch noch ein ganz alltägliches Problem der Dauerlösung entgegen:

Schon nach wenigen Tagen werden Fahrtwind, Regen und Verdunstung dafür sorgen, dass der Sprühöl-Film im Kratzer verschwunden ist und er wieder sichtbar wird. Und gut für die Umwelt ist es auch nicht, wenn ein Regenguss das Öl von der Karosserie wegspült.

Unterm Strich ist der Sprühöl-Mythos daher eher im Reich der Autoverkäufer-Tricks anzusiedeln, wo es darum geht, das Auto nur für den Verkaufsabschluss gut aussehen zu lassen. Eine dauerhafte Lösung ist es nicht.

Mythos: Unzerstört, aber de facto nur ein Taschenspielertrick

Fazit

Die meisten Pannenmythen sind heute leider nur noch Märchen. Es gab Zeiten, wo sie tatsächlich halfen – bei einem alten Käfer etwa wird die Nylonstrumpfhose auch heute noch als Notfall-Ersatz für einen gerissenen Keilriemen taugen.

In der Praxis sieht es jedoch so aus, dass moderne Autos schlichtweg zu kompliziert geworden sind, um sie mit einfachen Bordmitteln noch am Straßenrand flicken zu können.

Das beste und universellste Pannenwerkzeug für den modernen Autofahrer ist mittlerweile das Handy und die Mitgliedskarte in einem Automobilclub.

Das ist zwar nicht so lässig, aber einem so komplexen Gebilde wie einem modernen Auto gegenüber sehr viel angemessener als Eier, Sprühöl und Büroklammern.

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